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Spannungsrisse gehören zu den häufigsten Schadensbildern bei technischen Kunststoffen – und gleichzeitig zu den am schwersten vorhersehbaren. Obwohl sie oft unauffällig beginnen, können sie die mechanische Integrität eines Bauteils massiv beeinträchtigen und im schlimmsten Fall zum Totalausfall führen.
Besonders im industriellen Einsatz, wo hohe Anforderungen an Sicherheit, Beständigkeit und Lebensdauer bestehen, ist die gezielte Vermeidung von Spannungsrissen essenziell. Der folgende Beitrag zeigt, wie Spannungsrisse entstehen, welche Werkstoffe besonders gefährdet sind – und vor allem, wie man durch richtige Werkstoffwahl, Verarbeitung und Nachbehandlung langfristige Schäden zuverlässig verhindert.
Spannungsrisse (auch: Spannungsrisskorrosion oder Environmental Stress Cracking, ESC) sind feine, meist oberflächliche Risse in einem Kunststoffbauteil, die durch das Zusammenspiel von mechanischer Belastung und äußeren Einflüssen wie Chemikalien, Temperatur oder UV-Strahlung entstehen. Diese Risse entwickeln sich häufig unbemerkt, da sie zunächst mikroskopisch klein sind und keine unmittelbare Auswirkung auf die Funktion haben. Mit der Zeit können sie jedoch weiter wachsen und sich durch das gesamte Material ausbreiten. Besonders gefährlich ist dabei, dass Spannungsrisse oft zum plötzlichen und scheinbar unerklärlichen Bruch führen – ohne vorherige sichtbare Deformation oder Warnzeichen.
Typische Merkmale:
feine, linienartige Risse an der Oberfläche
sprödes, unelastisches Bruchverhalten
Versagen des Bauteils ohne sichtbare Vorankündigung
Bereits beim Spritzgießen, Fräsen oder Biegen können innere Spannungen im Kunststoff entstehen. Diese sind häufig nicht sichtbar, bilden aber die Grundlage für spätere Schäden.
Kontakt mit Reinigungsmitteln, Ölen, Lösungsmitteln oder auch Luftfeuchtigkeit kann bestimmte Kunststoffe empfindlich machen. Besonders anfällig sind z. B. Polycarbonat (PC) und Polystyrol (PS).
Stetige oder zyklische Belastungen – z. B. durch Klemmen, Verschrauben oder Vibrationen – begünstigen das Risswachstum.
Schnelle Temperaturwechsel oder dauerhafte Temperaturbelastung können das Materialgefüge schwächen und zu Rissbildung führen.
Um Spannungsrisse gezielt zu vermeiden, ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, der sowohl die Werkstoffauswahl als auch die Verarbeitung und den späteren Einsatz berücksichtigt. Bereits kleine Optimierungen in der Konstruktion oder im Fertigungsprozess können helfen, das Risiko deutlich zu senken.
Nicht jeder Kunststoff ist für jede Umgebung geeignet. Für Anwendungen mit Chemikalien oder dauerhafter Belastung sollten spannungsrissresistente Werkstoffe wie POM, PA12 oder bestimmte modifizierte PMMA-Typen gewählt werden. Auch fluorierte Polymere wie PTFE zeigen eine hohe Beständigkeit gegen chemische Einflüsse und innere Spannungen.
Eine kontrollierte Verarbeitung ist entscheidend. Bereits bei der Fertigung sollten Prozesse so gestaltet werden, dass innere Spannungen minimiert werden:
Temperaturführung optimieren beim Spritzgießen oder Thermoformen
Nachglühen zur Reduktion innerer Spannungen (besonders bei PMMA, PC)
Scharfe Kanten vermeiden – Rundungen mindern Spannungsspitzen und fördern eine gleichmäßigere Verteilung mechanischer Kräfte
Konstruktion und Montage sollten so gestaltet werden, dass lokale Überbeanspruchung vermieden wird:
Keine übermäßige Vorspannung bei Verschraubungen oder Klemmungen
Gleitlager statt Presspassungen bei beweglichen Bauteilen
Montagekräfte gleichmäßig verteilen, z. B. durch größere Auflageflächen oder Elastomerdichtungen
Chemische Medien wirken häufig als Katalysator für Spannungsrisse. Daher gilt:
Geeignete Reinigungsmittel verwenden, speziell für den jeweiligen Werkstoff
Dichtmittel und Schmierstoffe prüfen auf Materialverträglichkeit
Kontaktflächen schützen (z. B. durch Beschichtung oder Abdichtung), insbesondere bei transparenten oder druckbelasteten Bauteilen
Mit diesen Maßnahmen lässt sich die Gefahr von Spannungsrissen bereits in der frühen Entwicklungsphase stark reduzieren.
Nach dem Bearbeiten (z. B. Fräsen, Sägen, Kleben) sollten spannungsempfindliche Kunststoffe durch Tempern nachbehandelt werden. Dabei wird das Material über längere Zeit auf eine definierte Temperatur unterhalb der Glasübergangstemperatur erhitzt. Dies ermöglicht das Ausheilen innerer Spannungen.
Beispielhafte Temperbedingungen:
Werkstoff | Temperatur (°C) | Dauer (h) |
---|---|---|
PMMA (Acrylglas) | 70–80 | 2–4 |
PC (Polycarbonat) | 120–130 | 2–4 |
PSU (Polysulfon) | 150–160 | 3–5 |
Spannungsrisse entstehen meist durch ein komplexes Zusammenspiel aus innerer Spannung, chemischen Einflüssen und mechanischer Belastung. Wer technische Kunststoffe dauerhaft zuverlässig einsetzen will, muss diese Faktoren kennen und bei Werkstoffwahl, Verarbeitung und Anwendung gezielt berücksichtigen. Eine spannungsarme Konstruktion, chemische Verträglichkeit und gegebenenfalls eine Nachbehandlung sind essenziell, um die Lebensdauer technischer Bauteile deutlich zu verlängern.
Welche Kunststoffe sind besonders empfindlich gegenüber Spannungsrissen?
Polycarbonat (PC), Polystyrol (PS), SAN und PMMA sind besonders anfällig. Auch ABS kann bei falscher Verarbeitung empfindlich sein.
Was kann man tun, wenn bereits Spannungsrisse sichtbar sind?
In der Regel hilft nur ein Austausch. In Ausnahmefällen kann ein vorsichtiges Tempern Risse stoppen, sofern sie oberflächlich und frühzeitig erkannt werden.
Wie erkenne ich innere Spannungen?
Mit Polarisationsfiltern lassen sich innere Spannungen sichtbar machen. Alternativ helfen Erfahrungswerte oder Spannungsprüfungen mit Testflüssigkeiten.