Die Wärmeformbeständigkeit ist eine zentrale Kenngröße bei der Auswahl technischer Kunststoffe. Sie beschreibt, wie gut ein Werkstoff seine Form unter Temperatureinwirkung behält – ein Kriterium, das in vielen Anwendungen über Funktionstüchtigkeit, Sicherheit und Langlebigkeit entscheidet. Besonders in Branchen wie dem Maschinenbau, der Automobilindustrie oder der Elektrotechnik spielt dieser Werkstoffparameter eine essenzielle Rolle.
Mit zunehmender Miniaturisierung, steigendem Automatisierungsgrad und wachsender thermischer Belastung steigen die Anforderungen an Kunststoffe kontinuierlich. In diesem Kontext reicht es nicht aus, lediglich die Schmelztemperatur eines Materials zu kennen. Vielmehr ist entscheidend, wie stabil ein Kunststoff unter mechanischer Belastung und hohen Temperaturen bleibt. Nur so lassen sich dauerhaft funktionierende Bauteile konstruieren, die nicht versagen, wenn die Einsatztemperatur steigt.
Die Wärmeformbeständigkeit beschreibt die Temperatur, bei der ein Kunststoff unter definierter mechanischer Belastung beginnt, sich plastisch zu verformen. Diese Eigenschaft ist nicht zu verwechseln mit der Schmelztemperatur oder der Glasübergangstemperatur. Zwei gebräuchliche Methoden zur Bestimmung sind:
Vicat-Erweichungstemperatur (VST): Ermittelt die Temperatur, bei der eine definierte Nadel eine festgelegte Eindringtiefe in das Kunststoffprüfkörper erreicht.
Wärmeformbeständigkeitstemperatur nach Martens (HDT): Misst die Temperatur, bei der sich ein normierter Prüfkörper unter Biegebelastung um einen bestimmten Betrag verformt.
Diese beiden Kenngrößen liefern zusammen ein belastbares Bild darüber, wie sich ein Werkstoff in realen Anwendungen unter Temperatureinfluss verhält. Besonders wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen kurzzeitiger und dauerhafter Temperaturbelastung, da Kunststoffe je nach Molekülstruktur und Füllstoffanteil sehr unterschiedlich reagieren.
In Anwendungen, bei denen ein Kunststoff dauerhaft Temperaturen oberhalb von 80°C standhalten muss, ist eine hohe Wärmeformbeständigkeit entscheidend. Klassische Standardkunststoffe wie PE oder PP reichen hier nicht aus. Stattdessen kommen Hochleistungskunststoffe wie PPS, PEEK oder PI zum Einsatz.
Im Fahrzeugbau etwa müssen Bauteile im Motorraum – z. B. Sensorgehäuse, Steckverbindungen oder Pumpenkomponenten – auch bei Umgebungstemperaturen von 120 bis 150°C funktionssicher bleiben. Ein Materialversagen durch Formverzug kann hier sicherheitsrelevante Folgen haben.
Bei elektronischen Bauteilen erfordert die Miniaturisierung extrem hohe Formtreue selbst bei kleinsten Wandstärken. Materialien wie LCP (Liquid Crystal Polymers) zeichnen sich durch hervorragende Wärmeformbeständigkeit in Kombination mit geringer Kriechneigung aus.
Füllstoffe wie Glasfasern oder Talkum erhöhen in der Regel die Formstabilität.
Kristallinität: Teilkristalline Kunststoffe (z. B. PA66, POM) haben höhere Formbeständigkeit als amorphe (z. B. PC, PMMA).
Feuchtigkeitsaufnahme kann die Formstabilität beeinträchtigen (z. B. bei Polyamiden).
Die Anwendungsgebiete wärmeformbeständiger Kunststoffe sind vielfältig und decken nahezu alle Industrien ab, in denen thermische Belastungen auftreten. Entscheidend ist dabei nicht nur die maximale Temperatur, sondern auch die Dauer der Einwirkung, der Wechsel zwischen Temperaturzyklen und die Kombination mit mechanischen oder chemischen Belastungen.
Gleit- und Führungselemente, die thermischer und mechanischer Belastung ausgesetzt sind, müssen ihre Funktion auch bei Dauerbetriebstemperaturen oberhalb von 100°C aufrechterhalten. Hier kommen oft glasfaserverstärkte oder teilkristalline Kunststoffe zum Einsatz.
In Hochstrom- und Hochspannungstechnik benötigen Bauteile wie Isoliergehäuse, Steckverbinder oder Spulenkörper nicht nur exzellente Isolationseigenschaften, sondern auch hohe Wärmeformbeständigkeit – insbesondere bei Geräten mit schlechter Wärmeabfuhr.
Motorraumteile, Getriebebauteile, Thermostatgehäuse oder Luftansaugmodule müssen oft Temperaturen bis zu 150°C aushalten – kombiniert mit Schwingungen, Chemikalienkontakt und Dauerbelastung. Hier setzen OEMs zunehmend auf Hochleistungskunststoffe, die metallsparende Konstruktionen ermöglichen.
Sterilisierbare Kunststoffteile (z. B. in Autoklaven) in der Medizintechnik erfordern Wärmeformbeständigkeit > 120°C. Gleichzeitig dürfen sie ihre mechanischen Eigenschaften nicht verlieren oder chemisch angegriffen werden. Dies gilt insbesondere für chirurgisches Instrumentenzubehör oder wiederverwendbare Hilfsmittel.
Kunststoff | HDT (ISO 75, 1.8 MPa) | Vicat (ISO 306, B50) | Bemerkung |
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PE-HD | ca. 75°C | ca. 125°C | Für Niedrigtemperaturanwendungen |
PA6 | ca. 200°C | ca. 215°C | Wasseraufnahme beachten |
POM | ca. 165°C | ca. 170°C | Gute Dimensionsstabilität |
PC | ca. 135°C | ca. 150°C | Amorph, transparente Anwendungen |
PPS | ca. 230°C | ca. 260°C | Sehr hohe chem. Beständigkeit |
PEEK | ca. 315°C | ca. 340°C | Für höchste thermische Anforderungen |
Die Wärmeformbeständigkeit ist ein entscheidender Faktor für die Auswahl technischer Kunststoffe, insbesondere in Umgebungen mit hohen Dauertemperaturen oder thermischen Lastwechseln. Die Kenntnis der jeweiligen Grenztemperaturen und Einflussfaktoren ist für Konstrukteure und Werkstoffexperten unverzichtbar, um sicherheitskritische oder langlebige Kunststoffkomponenten zu realisieren.
Die Schmelztemperatur markiert den Übergang vom festen in den flüssigen Zustand. Die Wärmeformbeständigkeit hingegen gibt an, wann ein Kunststoff unter Belastung beginnt, sich plastisch zu verformen.
PEEK zählt zu den Kunststoffen mit der höchsten Wärmeformbeständigkeit und eignet sich für Anwendungen bis über 300°C.
Dünnwandige oder filigrane Geometrien können unter Temperaturbelastung schneller verformen. Eine gute Materialwahl berücksichtigt deshalb auch die konkrete Konstruktion.